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Blattjagd in Kettershausen


Es ist der 30. Juli im Jahr 2012, voll beladen, mit so manchem Jagdutensil und mit der treuen Seele Moni (meine Deutsch Drahthaar Hündin) bin ich unterwegs in mein Revier nach Kettershausen! Eine kleine, aber sehr lebhafte Gemeinde im Mindelheimer Land hat mir vor etwa einem dreiviertel Jahr ihr Jagdrevier verpachtet. Es ist somit die erste Bockjagdsaison, die ich hier nun miterleben darf.

Moni liegt im Beifahrer Fussraum, legt gerade ihre Schnauze auf die Mittelkonsole meines Autos und schaut mich mit ihren braunen Augen fragend an. Ich biege ab von der Hauptstraße in einen schmalen Seitenweg, der schnurstracks zu unserer kleinen, nennen wir sie „notdürftige Jagdhütte“ führt, auf jeden Fall war dies ein ehemaliger Ziegenstall und entsprechend kann diese Unterkunft momentan von uns drei, der Kettershausener Jägergemeinschaft auch genutzt werden. Ich sage zu Moni noch „gleich darfst Du raus und Pippi machen“, da sehe ich auch schon Daniel stehen. Lässig an sein Auto gelehnt, geht er gerade seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Dauertelefonieren, nach!

Das "weiße Haus" nennen Daniel und Beppo die Hütte und ich schaue auf meine Uhr. Schon weit nach Sieben, verspätet um etwa 15 Minuten erkenne ich gerade im Gesicht von Daniel einen Anflug von Vorwurf. „Ich kam nicht früher weg“ meine Entschuldigung und schon sitzt Daniel in meinem Auto und Moni muss nach Ihrer Pinkelpause hinten einsteigen, was sie irgendwie unschlüssig, wie so oft, über sich ergehen lässt.

Wir fahren vor zum Gemeindewald, eine etwa 50 Hektar große Bestandsfläche mit einem steil ansteigenden Hochwald und vielen Dickungen, quasi ein paradiesischer Einstand für Rehwild.

Vor ein paar Tagen habe ich hier einen etwa 4-jährigen Bock gestreckt, der völlig unbekümmert, einen Spießer vor sich her treibend, aus dem Hochwald kam und nahe der Volzkanzel sein Leben lassen musste. Ich fahre ein Stück in den mit Fichten, Buchen und Eschen bewachsenen Waldabschnitt und halte 30 Meter hinter dem steil ansteigenden Bestandseingang.

"Türe leise zu machen" raunt mir Daniel noch zu und Moni muss nun zurückbleiben. Voller Spannung lade ich nun meinen Repetierer mit vier .30.06 Kaliber Patronen und schon deutet mir Daniel an ihm lautlos zu folgen, hinauf, den Schotterweg entlang und er hat auch schon sein Blatterpfeifchen am Mundwinkel. Ich bin gespannt, was nun der Profi in Sachen Rehbock anplatten vom Stapel lässt.

Kaum sind wir zwanzig Meter weiter den Weg hinauf geschlichen, bleibt Daniel abrupt stehen und deutet mir mit vorsichtigen Handbewegungen einen im Hochwald stehenden Rehbock an. Das glaub ich nicht, etwa 150 Meter weiter oben, zwischen hohen Buchen, steht ein Bock, mindestens mit einem weit über die Lauscher hohen Sechsergehörn!

Daniel fängt sofort an etwas verhalten den Geißfiep nachzuahmen. Zwischen den Lauten zischelt er mir zu: „Ein Abschußbock, geh in Stellung“. Sogleich suchen meine Augen einen geeigneten Baum zum anstreichen. Immer wieder kommt der Bock nach Daniels Lockfiepen ein Stück näher. Ja, er rennt förmlich auf uns zu, sucht in seiner Gier nach der Geiß. Wie angewurzelt verfolge ich sein Kommen und kann kaum mit den Augen folgen. Ich habe ihn im Visier, den Gewehrriemen fest um den Stamm einer Buche geschlagen bin ich schon am Spannen, ein kurzes Zögern, warum? Schon schlägt der Bock einen Bogen und ich muss ihn wieder ins Absehen bannen. Wieder nur Sekundenbruchteile vorm Abdrücken bekommt der Bock Wind von uns und halsbrecherisch rennt er den Hang hinauf und entschwindet unserem Gesichtskreis. Fragend schaut mich Daniel an und und und…

Ich fasse es nicht, ich habe es vergeigt, so eine Vorlage und ich kam nicht zum Schuss. Daniel sieht es gelassen, Gott sei Dank. Er hat bewiesen, dass er es drauf hat. So ist die Jagd, Entschuldigungen stammelnd und nach Erklärungen suchend steigen Daniel und ich wieder ins Auto und wir fahren weiter hinauf zum Wassertrieb. Da meint Daniel müssten auch Böcke stehen, noch keiner von uns Dreien hat da oben gejagt.

Also Auto abgestellt und wir schleichen in die Nähe eines dichten Fichtenanflugs, aber etliche Meter entfernt lassen wir uns auf einem riesigen Fichtenstock nieder, der letzten Winter hier gefällt wurde. Das Spiel beginnt von Neuem. Daniel zeigt was er kann! Fieplaute von der Geiß und vom Kitz in Abwechslung kommen aus seinem Mundwinkel, kaum kann ich sie unterscheiden. Da, da, ein Schmalreh kommt aus der vor uns liegenden Dickung. Ich sehe die Geiß nur kurz und Daniel flüstert mir zu, dass sie uns im Auge hat, ich solle mich ja nicht bewegen. Und so sitze ich auf dem Baumstumpf und bewege mich nicht!

Dann geht es blitzschnell. Daniel erkennt einen Bock, der dem Schmalreh nachgezogen ist, ich sehe nichts. Zu viele Stämme riesiger Fichten stehen dazwischen. Daniel rutscht auf seine Knie und ich übergebe ihm ohne viel Worte meinen Stutzen, kaum in Empfang sehe ich noch wie er gekonnt auf dem Baumstumpf auflegt und Bumm, die Kugel ist draußen!!!

Der Bock überschlägt sich förmlich und ich sehe seine rote Decke weit vor uns an der Grenze zur Dickung liegen, etwa 80 Meter entfernt. Nach einem freudigen „Waidmannsheil“ an Daniel machen wir uns auf den Weg unsere Beute abzuholen. Einen Knopfbock hat Daniel gestreckt. Freudig nehme ich von Daniel eine „Beruhigungs-Zigarette“ an und wir verabreden, meine Moni zu testen. Ich laufe zurück zum Auto und hole sie, derweil zieht Daniel den Bock hinter sich her, etwa 150 Meter weit, damit Moni der Schweißspur folgend Ihr Können unter Beweis stellen kann. Zwischendrin trägt Daniel den Bock immer wieder ein Stück weit, damit Moni es nicht so leicht haben wird mit ihrer Nachsuche. Kaum am Anschuß lasse ich sie am Riemen suchen und ohne Probleme folgt sie der Spur sofort, auch die paar schweißlosen Stellen überwindet sie ohne den Anschluss zu verlieren. Ich freue mich und überlasse spontan Daniel den Knopfbock zur eigenen Verwertung!



Es ist noch hell, die Wege Daniels und mir trennen sich, ich will noch raus in die Schwende. Eine große Feldflur im Kettershausener Jagdgebiet, dahinter liegt der riesige Fuggerwald. Aber die davor liegende und zusammenhängende Feld- und Wiesenflur gehört in mein Jagdgebiet, ein paar hundert Hektar. Hauptsächlich Mais, Weizen und Raps werden hier angebaut und stehen in voller Höhe und Blüte, so dass Rehe und Sauen leicht herüberwechseln können jetzt in dieser Jahreszeit, um in dieser üppigen Vegetation ihren Sommereinstand zu finden.

Ich setze mich heute im bereits abnehmenden Mond auf eine offene Kanzel und lasse das Erlebte noch mal Revue passieren. Warum hab ich nicht geschossen beim Zustehen des ersten und mehrjährigen Bocks? Ich weiß es nicht und kann es kaum ergründen. Jetzt hier suche ich den Frieden mit mir selbst und die Enttäuschung klingt langsam ab, da oben in meinem…Oberstübchen!

Die Kanzel steht gut da am Rande riesiger Maisfelder, der Wind passt auch, er streicht vorbei und ich spüre ab und an Windböen, die meine noch aufgeregten Wangen kühlen. Aber nach dem vielen Abglasen der vor mir liegenden Peripherie kann ich kein Wild entdecken, nur eine Geiß äst friedlich etwa 100 Meter unter mir und hat eben ihre beiden abgelegten Kitze auf der Wiese eingesammelt, leise und verhalten hat sie mit den mir bekannten Fieplauten ihre Sprösslinge angelockt. Ein friedliches Bild da unter mir und die Zeit entschwindet sogleich schneller und schneller!

Es ist bereits zwei Uhr durch, ich will heim, es ist Sonntag abend, ähh Montag morgens und ich muss wieder zeitig, ich meine so um 10 Uhr rum, in meiner Firma antreten. Da sind dann auch schon alle da (hoffe ich) und das Spiel um Umsatz und Deckungsbeitrag beginnt von Neuem! So ist es halt als Unternehmer, gerade gehen mir diverse Gedanken durch meinen Kopf als ich nebenbei entschließe noch eine Pirschrunde zu drehen, gegen den Wind, das passt gerade wunderbar. Die Sicht geht auch noch so, etwa 100 Meter und als ich abbaume entschwindet sogleich die Geiß mit ihren Kitzen im angrenzenden Maisacker!

Die Socken in den Stiefeln noch hochgezogen, das Gewehr geschultert und mein Fernglas am Riemen in der Hand mache ich mich auf den Weg. Entlang eines großen Maisfeldes, das ab und an bei den plötzlich aufkommenden Windböen die Geräuschkulisse von anwechselnden, vielleicht etwa Sauen vortäuscht. Etwas erschrocken und vorsichtig schlendere ich ein paar 100 Meter am Ackerrain entlang, dann kommt noch mal so eine Länge, hinter einem überquerten und mit Büschen zugewachsenen Hohlweg. Da vorne erkenne ich schon die bereits abgeernteten großen Rapsfelder. Etwa kniehohe Rapsstengel haben die Erntemaschinen stehen gelassen und dahinter beginnen schon wieder die riesigen Maisfelder. Die Konturen kann ich gerade noch so erkennen in ein paar 100 Meter Entfernung.

Langsam und bedächtig arbeite ich mich voran als ich plötzlich vor mir, in etwa 300 Meter, eine Bewegung wahrzunehmen glaubte. Was ist das? Da bewegt sich doch ein schwarzer Klumpen entlang des Maisackers im abgeernteten Rapsfeld? Ich muss näher hin, mein Adrinalin Pool fängt an meine Müdigkeit wegzublasen.
Ich taste mich näher ran, gebückt, Schritt für Schritt, da erkenne ich die Kontur einer Sau! Einer Großen. Reflexartig gehe ich auf die Knie, die Sau zieht suchend den Maisacker entlang und bewegt sich weg von mir. Aber Sie könnte mich möglicherweise hier auf freiem Feld wahrnehmen und in einem Satz im Mais verschwinden! Was tun?

Etwa 200 Meter ist die Sau entfernt in einer kleinen Senke mit bestem Kugelfang. Ich lege meinen Rucksack vor mir auf den Boden und lege mich dahinter. Im Absehen versuche ich die Sau zu ergründen, aber es ist zu dunkel und die verdammten hohen Rapsstengel versperren mir die Sicht, Scheiße. Fluchend (Gott verzeih mir) suche ich die Sau. Da hat sich was bewegt. Beherzt ziehe ich meinen Stutzen näher an die Schulter, atme tief ein und bevor ich explodiere lasse ich die Kugel fahren. Juhuuuu, ich sehe noch die Sau liegt, ich stehe auf und versuche im Fernglas mehr zu sehen. Potz Blitz, die Sau will wieder aufstehen und schlegelt gewaltig. Ich ahne Schlimmes.

Sofort packe ich mein Zeugs und laufe gut eineinhalb Kilometer zurück zum Auto. Etliche Rehe springen ab, als ich da hastig einher komme, aber das kümmert mich momentan nicht. Am Auto suche ich mein feststehendes Aufbrechmesser und stecke es vorne wie schon so oft bei Nachsuchen in den rechten Stiefelschaft. Dann fahre ich zum Anschuß, sehe schon von Weitem die schlegelnde Sau liegen. Zwei Meter neben ihr halte ich, springe aus dem Sitz und Sekunden später erlöse ich den Deliquenten!



Ich rekapituliere die Situation, ich habe gerade einen Keiler hingelegt, über 100 Kilo müsste der haben, Freude kommt auf und verdrängt die Spannung in mir, eine Jagd wie ich es liebe, hier in dieser beschaulichen Kettershausener Gemeinde. Bereits meine achte Sau habe ich heute seit April hier gestreckt und alles Keiler, ich fasse es nicht. Das ich aber offensichtlich hinten und vorne der Sau verwechselt habe und die Kugel aufs hintere Blatt setzte irritiert mich etwas, aber offensichtlich hat sich der Keiler gedreht in der Zeit wo ich ihn mit dem Absehen im Anschlag suchte, meine einzige Erklärung.

Nachdem bei mir und um mich herum Ruhe eingekehrt ist überlege ich, wie ich nun den Keiler nach Hause bringe. Moni leckt inzwischen den Einschuss am Keiler sauber, wie sie es immer macht, wenn sie auf Nachsuche aktiv ist. Da fällt mir Daniel und unser heutiges Jagderlebnis mit dem Knopfbock ein. Ich rufe Ihn an, jetzt gegen drei Uhr und prompt sagt er sein Kommen zu. Ich freue mich, so ein Erlebnis teilt man/ich auch gerne mit Freunden.

Als er da ist, erlegt er erst mal einen frechen Fuchs, der kaum 20 Meter im geschützten Maisfeld wohl auf einen Happen hofft und uns mit verräterischen Augenpaaren die ganze Zeit im Visier hat. Nun wird erstmal eine Zigarette nach der anderen weggepafft und wir kommen auf die Idee gleich noch frühstücken zu fahren. So eine Verladeaktion macht hungrig. Als wir beim Hörl vorbei kommen, die nicht nur dorfbekannte und einzige Bäckerei hier mit anhänglichem Kaffee, machen wir dem verdutztem Bäcker klar, das jetzt bereits um vier Uhr Morgens für uns die Frühstückszeit einzuläuten ist.

Mit frisch gebackenen Brezeln, Kaffee und Spezi sitzen wir dann draußen, in der ausgehenden lauen Sommernacht und lassen es uns schmecken. Auch Moni sichert sich eine Brezel und und und - 107 Kilo bringt der Keiler auf die Waage und ist etwa 3 Jahre alt, für mich war es ein tolles Erlebnis mit vielen Facetten, die eine Jagd zu bieten hat.

Danke Diana, unsere Jagdgöttin!


Mit freundlichem Waidmannsheil von Karl Holzinger

Kettershausen, den 30 Juli 2012.